Hepar sulfuris
Kalkschwefelleber CaSn
Die Homöopathin Tyler beginnt die Beschreibung dieses Arzneimittels mit folgendem Zitat: «Hepar ist ein Heilmittel, das selbst in der kleinsten homöopathischen Hausapotheke seinen festen Platz hat; so ist es u.a. auch ein Mittel für unsere Kinder, bei Erkältungen, Husten, Krupp, Lymphdrüseneiterung etc.» Hepar hat also grosse Bedeutung bei der Behandlung von akuten, oftmals eitrigen Entzündungen.
Jeder Homöopath verordnet dieses Heilmittel. Viele sind sich nicht bewusst, dass es sich dabei um ein von Hahnemann geschaffenes «Komplexmittel» handelt, welches in dieser Art nicht in der Natur vorkommt. Der grosse Meister vereinigte zwei gegensätzliche Heilmittel (Austernschalenkalk und Schwefelblüten) unter Einsatz des Feuers zu einem neuen Ganzen. Würde man zwei gegensätzliche Menschen in einen Schmelztiegel stecken und unter ihrem Hintern Feuer entfachen, wäre die Stimmung der beiden wohl ziemlich gereizt (sauer). Bei schimpfenden, zänkischen, unzufriedenen, durch Kleinigkeiten in Zorn geratende Menschen sollten wir an Hepar sulfuris denken. Der Zorn kann sogar im Impuls, zu töten oder Feuer zu legen, gipfeln (‹Hepar-sulfuris-Menschen› sind geborene Pyromanen). So verstehen wir auch ihre Ängste: Angst vor Feuer, Gewalt und Unfällen (andere könnten ja die gleichen Ideen haben).
Steckbrief von Hepar sulfuris
Beschreibung: Die Kalkleber ist in reinem Zustand ein farbloses, in der Praxis gewöhnlich aber ein gelbliches bis graugelbes Pulver. Der Schmelzpunkt liegt über 2'000 °C. Hahnemanns Worte zur Herstellung: «Ein Gemisch von gleichen Theilen feingepülverter, reiner Austernschalen und ganz reiner Schwefelblumen wird zehn Minuten im verklebten Schmelztiegel weissglühend erhalten …». Auf diese Weise dürften vorwiegend Polysulfide (CaSn) entstehen. Hahnemann stellte Hepar sulfuris mit Austernschalenkalk her und nicht mit Pottasche (Kaliumcarbonat), woraus Schwefelleber entstünde.
Vorkommen: Kalkleber kommt nicht natürlich vor. Näheres zu Calcium siehe unter Calciumphosphat, zu Schwefel unter Sulfur. Andere Sulfide kommen in der Natur als sulfidische Erze vor, z. B. die Eisensulfide (Pyrit und Markasit FeS2), der Bleiglanz (Galenit PbS), der Kupferkies (Chalkopyrit CuFeS2), die Zinkblende (Sphalerit ZnS) sowie der Zinnober (Cinnabarit HgS).
Chemische Eigenschaften: An trockener Luft oxidiert Calciumsulfid langsam zu CaSO4 (Gips), bei Feuchtigkeitszutritt spaltet sich Schwefelwasserstoff (H2S) ab. In kaltem Wasser ist die Löslichkeit gering, wobei sich Calciumhydrogensulfid bildet. In warmem Wasser nimmt die Löslichkeit unter Hydrolyse zu, und es bildet sich wiederum Schwefelwasserstoff. Früher war Calciumsulfid ein Nebenprodukt beim Leblanc-Sodaprozess. Calciumsulfid wurde zur Herstellung von Leuchtstoffen, Enthaarungsmitteln, Schmiermitteln für hohe Temperaturen sowie in der Elektro- und Lackindustrie verwendet.
Bedeutung für Lebewesen: Viele typische Geruchs- und Geschmacksstoffe natürlicher Aromen sind organische Sulfide (schwefelorganische Verbindungen), z. B. die Aromen von Blumenkohl, Kaffee, Knoblauch, Rettich, Senf, Spargel, Wein und Zwiebeln. Diese Schwefelverbindungen fangen Radikale ab und schützen die Zellen vor Alterung. Schwefelbäder werden gegen Gicht, Rheuma, Psoriasis, Mykosen und Ekzeme eingesetzt.
verwendeter Teil: weisser Austernschalenkalk und weisse Schwefelblumen werden in einem Tiegel erhitzt
wichtige Verwandte: Calcium sulfuricum
Wirkung und Anwendung von Hepar Sulfuris in der Homöopathie
Das Feuer, welches zur Verschmelzung der beiden Heilmittel benutzt wurde, fehlt interessanterweise den ‹Heparsulfuris-Menschen›. Sie gehören zu den frostigsten Patienten überhaupt, frieren auch im Sommer und reagieren auf den kleinsten kalten Luftzug äusserst empfindlich. Sie verkriechen sich unter der Bettdecke, und wenn sie nur eine Hand oder einen Fuss rausstrecken, einen kalten Gegenstand berühren oder kalte Luft einatmen, kann dies einen Hustenanfall auslösen oder das gesamte Befinden verschlechtern. Erkältungen gehören logischerweise ins Bild von ‹Heparsulfuris-Menschen›. Schnupfen mit Nebenhöhlenbeteiligung, typisch dabei sind die eitrigen nach altem Käse stinkenden Absonderungen und das Krachen in den Ohren beim Nasenschnäuzen oder Husten, der selten trocken, sondern eher locker tönt, pfeift und rasselt.
‹Heparsulfuris-Menschen› sind psychisch und physisch äusserst empfindlich. Man könnte sagen, sie sind «schlecht isoliert». Schutzlos sind sie den Reizen ihrer Umwelt ausgeliefert. Sie reagieren überempfindlich auf Kälte, Schmerz (fallen in Ohnmacht), Gerüche, Geräusche und kleinste Aufregung. Bei der geringsten Anstrengung geraten sie ins Schwitzen (wagen es aber nicht, sich zu entblössen). Man hat das Gefühl, sie seien stets auf der Flucht (Eile beim Sprechen, Essen und Trinken).
Hepar sulfuris ist berühmt für seine Wirkung bei Eiterungen. Die Kalkschwefelleber ist besonders angezeigt, wenn der Eiter eingekapselt ist (Tiegel), zum Beispiel bei einem Zahnwurzelabszess oder Panaritium (Nagelbetteiterung/Nagelumlauf). Wie Silicea dient Hepar sulfuris zur «Einschmelzung» und Entfernung von Fremdkörpern in der Haut. Auch bei eitrigen Hautausschlägen, Nebenhöhlenkatarrhen, Mittelohrentzündungen, Furunkeln, Akne und wenn jede auch noch so kleine Wunde eitert, kommt Hepar sulfuris in Frage. Manchmal fällt die Entscheidung zwischen Silicea und Hepar nicht einfach. Hier lohnt es sich, den Gemütszustand und die Modalitäten bei der Mittelwahl zu berücksichtigen. ‹Silicea-Menschen› haben wenig Selbstvertrauen und sind schüchtern, ganz im Gegensatz zu den schimpfenden, ungestümen ‹Heparsulfuris-Menschen›.
‹Silicea-Menschen› reagieren empfindlich auf nass-kaltes Wetter, ‹Heparsulfuris-Menschen› können mit Nässe besser umgehen als mit Trockenheit. Zudem ist die Eiterbildung bei ‹Silicea-Patienten› langsam und wenig schmerzhaft im Vergleich zur stürmischen und sehr schmerzhaften (klopfen und stechen) «Heparsulfuris-Eiterung».
Das Element Wasser (löscht Feuer) bringt ‹Heparsulfuris-Patienten› Erleichterung. Feucht-warmes Wetter oder Wasserdampf bessern zum Beispiel den erstickenden Pseudokrupphusten. Dies ist eine allgemein bekannte Modalität bei Pseudokrupphusten. Hepar gehört, wie eingangs bereits von Tyler erwähnt, zu den wichtigsten Heilmitteln bei dieser gefährlichen Krankheit. Das erste Heilmittel bei Pseudokrupp ist Aconitum. Hilft Aconitum nicht sofort, sollte Spongia verabreicht werden. Tritt der Pseudokrupphusten bereits am frühen Abend auf (18 Uhr), oder treten die Anfälle (nachdem Aconitum geholfen hatte) gegen Morgen (6 Uhr) erneut auf, ist Hepar sulfuris angezeigt.
Stechende Schmerzen, wie von einem Splitter (Fischgerät), sind typisch für Hepar (vgl. Argentum nitricum, Acidum nitricum). Die Absonderungen von ‹Heparsulfuris-Patienten› stinken widerlich nach altem Käse (Schwefelanteil) oder riechen sauer (wie ihre Stimmung). Der Schwefelanteil zeigt sich auch im gelb gefärbten Auswurf, den gelben Skleren (das Weisse im Auge) und als gelber Schweiss.
Der Impuls, andere zu töten, die Unruhe, die Nachtschweisse ohne Erleichterung und die üblen Gerüche erinnern an das Arzneimittelbild von Mercurius. Bereits Hahnemann entdeckte, dass sich Hepar sulfuris gut zur Entgiftung nach Quecksilberbehandlungen eignet. Die damalige «Quacksalberei» findet zwar nicht mehr statt. Das Quecksilber gelangt aber durch Amalgamzahnfüllungen, bestimmte Medikamente, Impfungen oder mit der Nahrung (Meerfisch) in unseren Körper. Hyperaktivität und Gewalttätigkeit sind vieldiskutierte Themen unserer Zeit und gehören zum Arzneibild von Hepar sulfuris und Mercurius.
Verlangen nach Essig oder anderen sauren Nahrungsmitteln ist ebenfalls ein hochwertiges Heparsulfuris-Zeichen (vgl. Sepia, Natrium muriaticum). Als Lernhilfe denken wir an den sauren Patienten, der sich offenbar instinktiv mit etwas Saurem heilen will (similia similibus curentur).
Calcium sulfuricum ist ebenfalls ein Eitermittel. Es wird als «warmes Hepar» bezeichnet und passt eher zu warmblütigen Menschen, die nicht unter der typischen Frostigkeit von Hepar sulfuris leiden.
Wirkt bevorzugt auf:
- das Zentralnervensystem, Haut, Schleimhäute, Drüsen, Bronchien, Magen-Darmkanal.
Passt besonders zu:
- frösteligen, kälteempfindlichen, ängstlichen, zornigen, oft schimpfenden Personen.
Hauptindikationen:
- Bindehaut- und Lidrandentzündungen. Abgekapselte Abszesse *(unter Nägeln, Zahnwurzeln)
- Mittelohrentzündungen*
- Eitrige Nebenhöhlenkatarrhe*
- Bronchitis
- Rachen- und Kehlkopfentzündungen
- Mandelentzündungen
- Krupphusten*
- Zahnfleischabszesse
- Magenschleimhautentzündungen
- Scheidenabszesse*
- Eiternde Hautausschläge
Besonders wichtig für die Mittelwahl
Folgen von Luftzug, kaltem Wind.
Symptome:
Grosse Angst. Sehr schmerzempfindlich. Kleinigkeiten bringen den Patienten aus der Fassung / Schnellesser / Krachen in den Ohren beim Naseschneuzen. Splitter- und Pflockgefühl im Hals (beim Schlucken zum Ohr ausstrahlend) / Alte Katarrhe (Absonderungen stinken nach altem Käse) / Akne, Furunkel, eiternde Abszesse. Abszesse sind extrem schmerzhaft, sehr berührungsempfindlich.
Allgemeines:
Patient sucht die Wärme (packt sich in Decken ein). Schwitzt und friert sehr rasch (saurer, übelriechender, klebriger Schweiss). Kältegefühl, wie von Wind, an gewissen Körperstellen / Klopfen und Stechen in den Eiterherden. Alle Verletzungen eitern leicht / Verlangen nach Fett, Essig.
Modalitäten:
Schlimmer abends, nachts (Angst), durch Berührung, Berühren kalter Gegenstände, Entblössung (Hand aus dem Bett halten genügt!), trockene, kalte Winde oder kleinster Luftzug. Krupphusten bes. 6-9 Uhr (morgens und abends).
Besser durch Wärme (will sich warm einhüllen) und feuchtwarmes Wetter. Abszesse bessern durch warme Umschläge.
* = Selbstbehandlung nur in Absprache mit der Ärztin, mit dem Arzt und als erste Hilfe.