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Mercurius solubilis
Kolloidal lösliches Quecksilber Hg(NH2)(NO3)

Das Arzneimittelbild ist schwer zu erfassen und zusammenzubringen, es entgleitet einem wie die Kügelchen eines zerbrochenen Quecksilber-Thermometers, welche sich blitzartig in alle Richtungen davonmachen, die Orientierung verlieren und sich wegen der grossen Oberflächenspannung nicht mehr spontan mit ihresgleichen verbinden. Sie wirken abstossend aufeinander (ich bin ich, und du bist mein Feind).

  • Illustration Mercurius solubilis
  • Quecksilber Tropfen | © iStock

Steckbrief von Mercurius solubilis

Beschreibung: Das als Mercurius solubilis Hahnemanni bezeichnete schwarze Produkt entsteht bei der Reaktion einer wässrigen Quecksilber(I)-nitrat-Lösung mit einer wässrigen Ammoniaklösung (Salmiakgeist-Lösung). Dabei handelt es sich um ein Gemisch von verschiedenen meist farblosen oder gelblichen Quecksilber-Verbindungen, die schwarze Farbe rührt von kolloidalem elementarem Quecksilber (mikroskopisch kleine Tröpfchen) her. Das metallische Quecksilber ist das einzige bei Raumtemperatur flüssige Metall. Es hat einen silbrigen Glanz, der Erstarrungspunkt (oder Schmelzpunkt) liegt bei –39 °C, das spezifische Gewicht ist sehr hoch. Die Wärmeleitfähigkeit ist gut (Thermometer), die elektrische Leitfähigkeit für Metalle hingegen bescheiden. Aufgrund der grossen Oberflächenspannung, die sechsmal so gross wie jene von Wasser ist, ist Quecksilber eine nicht benetzende Flüssigkeit.

Vorkommen: Obwohl Quecksilber zu den selteneren Elementen auf der Erde gehört, findet man es aufgrund seiner Flüchtigkeit in der Luft (2 ng pro Kubikmeter, in industriell belasteten Gebieten bis zu 20 ng). Das wichtigste Mineral ist der Zinnober (HgS), gelegentlich findet man auch kleine Tröpfchen von gediegenem Quecksilber. Die wichtigsten Ablagerungen befinden sich in Almadén (Südspanien), im Monte Amiata (erloschener Vulkan) bei Siena und in alpinen Triasgesteinen von Idria (250 km nördlich von Triest). Quecksilber entweicht ständig gasförmig aus der Erdkruste und wird durch Vulkane an die Atmosphäre abgegeben.

Chemische Eigenschaften: Das Mercurius solubilis Hahnemanni ist löslich in verdünnter Salpetersäure oder Salzsäure. Erwärmt man das trockene Mercurius, verliert es die schwarze Farbe, und es bleibt ein gelber Rückstand unter Entwicklung nitroser Gase (Stickoxide). Mit vielen Metallen bildet Quecksilber so genannte Amalgame, die je nach Zusammensetzung flüssig, teigig oder fest sein können. Amalgam-Plomben enthalten ausser Edelmetallen und Quecksilber noch Zinn und Kupfer, da reines Amalgam leicht Quecksilberdampf abgibt.

Bedeutung für Lebewesen: Quecksilberverbindungen sind hoch toxisch. Akute Vergiftungen, z.B. durch Einatmen von Quecksilberdampf oder durch orale Aufnahme von Quecksilber, äussern sich in schweren Magen- und Darmkoliken, lokalen Schleimhautverätzungen und Nierenversagen. Chronische Vergiftungen führen zu Entzündungen der Mundschleimhäute, leichter Erregbarkeit und zittern der Hände bis hin zu Gedächtnisschwund, Verblödung und Tod durch Gewebserkrankungen.

wichtige Verwandte: Cinnabaris, Mercurius sublimatus corrosivus, Mercurius biiodatus

Wirkung und Anwendung von Mercurius Solubilis in der Homöopathie

Patienten, die «Merkur würdig» sind, empfinden wir bei der Fallaufnahme oftmals als merkwürdig oder manchmal sogar als abstossend. Es sind keine einfachen Patienten, ihre Krankheiten sind ernst und sie selbst ebenfalls. Stumm sitzen sie da und überprüfen erstmals unsere Glaubwürdigkeit, alle Informationen müssen wir mühsam aus ihnen herausziehen. Sie sind sehr misstrauisch und merken sofort, wenn wir einen kleinen Moment lang nicht total bei ihnen sind, sie verlangen ungeteilte Aufmerksamkeit. Homöopathen spüren in ‹Mercurius-Patienten› eine feindliche Gesinnung, Gewaltbereitschaft und tiefe Abgründe, die manchmal richtiggehend Angst machen.

Sherr bezeichnet Mercurius als ein «schmieriges» Arzneimittel, welches zu schmierigen Menschen passe. Symptome wie «schluckt seinen Stuhl», «leckt Kuhmist» zeigen die riesige Polarität zwischen total eklig und dem alchimistisch reinen und verbindenden Merkur. Den «roten Faden» findet Sherr in «einer dünnen Schicht, die sich ausbreitet». Beispiele sind ölige Schweisse, die sich in dünner Schicht auf der Haut verteilen (besonders nachts), schmierige, sich an der Oberfläche ausbreitende Geschwüre, widerlicher Mundgeruch, der sich im ganzen Zimmer verbreitet.

Ferner zerstört Quecksilber Nase und Schienbein (beides Orte, die nur von einer dünnen Hautschicht überzogen sind). Wenn die Nase zerstört ist, verliert man die Orientierung (man kann nicht mehr der Nase nach gehen). ‹Mercurius-Kranke› verirren sich in bekannten Strassen.

Der Name Quecksilber kommt von «Quick-Silver», das heisst «schnelles Silber», was auf zwei verschiedene Weisen interpretiert werden kann. Einerseits macht es die Unruhe, das quecksilbrige Wesen deutlich. Andererseits kann es auch als Hinweis auf die Geschäftstüchtigkeit der ‹Mercurius-Menschen› gemünzt werden. Sie sind imstande «schnelles Geld» zu machen, allerdings nicht nur auf legalem Weg. Merkur oder Hermes, wie ihn die Griechen nannten, ist der Gott der Händler, Wanderer und Schelme (Lügner). Er gewährt sicheres Geleit, bringt Glück und Gewinn. Die Hermen (Meilensteine) helfen, die Orientierung nicht zu verlieren.

Die Quecksilber-Vergiftungserscheinungen zeigen den starken Bezug zu den Schleimhäuten, zu den Drüsen, zum Lymph- und Nervensystem. Die Zerstörung, die dieses Metall im gesunden Organismus anrichten kann, erinnert an die Syphilis. Die Idee von Paracelsus, Quecksilber zur Behandlung von Syphilis zu verwenden, war deshalb durchaus homöopathisch. Die viel zu hohen Dosen des nicht potenzierten Quecksilbers wirkten sich allerdings schädlich bis tödlich aus. Die aus der damaligen Zeit stammende, wenig schmeichelhafte Bezeichnung «Quacksalber» hat sich bis auf den heutigen Tag erhalten. Man meinte damit die Bader und Ärzte, welche ihre Patienten mit unheilvollen quecksilberhaltigen Salben einrieben.

Jeder Syphilis-Kranke und viele ‹Mercurius-Kranke› lügen, auch hier besteht eine Übereinstimmung! Syphilis greift letztlich das Gehirn an, was zu intellektuellen Schwierigkeiten führt. Bei

‹Mercurius-Patienten› können wir eine Verlangsamung der geistigen Fähigkeiten beobachten. Sie begreifen langsam, sind zerstreut, antworten langsam und arbeiten trotz ihrer krankhaften Eile unproduktiv. Mit fortschreitender Krankheit nimmt die Konzentrationsfähigkeit stetig ab. Zunehmend drängen sich ihrem Gehirn gewalttätige Impulse auf (Gegenstände zu zerstören, jemanden wegen einer unbedeutenden Beleidigung oder bei Widerspruch umzubringen), und sie brauchen viel Energie, um diese Impulse nicht in die Tat umzusetzen. Dass sie unter diesen Voraussetzungen Angst haben, wahnsinnig zu werden, verwundert uns nicht. Mercurius ist deshalb ein wichtiges Heilmittel in der Psychiatrie.

Der Körper wird immer schwächer, die Hände zittern, so dass ein Glas nur noch gehalten werden kann, wenn der Ellenbogen aufgestützt wird. Das Zittern steht symbolisch für die grosse Instabilität der ‹Mercurius-Patienten›. Sie sind nicht mehr fähig, sich den Anforderungen des Lebens anzupassen, fast alle äusseren Einflüsse fügen ihnen Schaden zu (jeder ist ihr Feind). Das zeigt sich auch bei den Modalitäten: Mercurius steht im Repertorium (Symptomenverzeichnis) 55 Mal bei Verschlimmerungen und lediglich 7 Mal bei Besserung. ‹Mercurius-Patienten› reagieren auf die kleinsten Temperaturveränderungen (Kent bezeichnete sie als lebende Thermometer). Meistens ist es ihnen entweder zu warm oder zu kalt, sie fühlen sich nur in einem ganz kleinen Temperaturbereich wohl. Sie reagieren auch sehr empfindlich auf Medikamente (allopathische und homöopathische) und sind leicht zu unterdrücken. Leisten wir nicht sehr gute Arbeit, entgleiten uns die Patienten und sind wie das Quecksilber, nicht mehr zu fassen.

HNO-Ärzte und Zahnärzte könnten oft Mercurius erkennen und verordnen. Hier ein paar Beispiele: Chronische Mittelohrentzündungen mit stechenden, reissenden Schmerzen, schlimmer nachts, mit blutigem, übel riechendem Ohrenfluss, häufig auf der rechten Seite. Schnupfen mit wund machender, wässriger Absonderung (vgl. Allium cepa, Arsenicum album). Chronische Zahnwurzelentzündungen mit Empfindlichkeit auf Kälte und Wärme. Speichelfluss, widerlicher Mundgeruch, Zunge mit Zahneindrücken, Metall- oder Salzgeschmack im Mund, stark kariöse Zähne, Aphthen, geschwollene, geschwürige, eiternde Mandeln, Mononukleose (Pfeiffersches Drüsenfieber).

Auch die Darmschleimhaut kann Mercurius wieder ins Gleichgewicht bringen: schmerzhafter (oft erfolgloser) Stuhldrang (mit dem Gefühl, nie fertig zu werden), blutige, schleimige Stühle, Schweiss vor Durchfall sind typisch (Mercurius ist das wichtigste Heilmittel bei Colitis ulcerosa).

Entzündungen der Harnwege rufen manchmal ebenfalls nach Mercurius (übel riechender, eiweiss- und bluthaltiger Urin).

Mercurius-Hautausschläge jucken unerträglich, kratzen ist angenehm (Sulfur). Der Juckreiz verschlimmert sich abends, im warmen Bett und beim Schwitzen.

Das Arzneimittelbild von Mercurius solubilis

Alle Arzneimittelbilder

Wirkt bevorzugt auf:

  • Zentralnervensystem, Nerven der Haut, Drüsen, Knochen, Knochenhaut, alle Schleimhäute, Mastdarm, Haut, Bindegewebe, Zähne, Leber, Nieren, Augen

Passt besonders zu:

  • Unzufriedenen, unruhigen „quecksilberigen" Menschen, blasse, schmuddelige, ständig etwas schweisselnde Personen mit Neigung zum Frösteln

Hauptindikationen:

  • Entzündungen der Schleimhäute (Augen, Nasen-Nebenhöhlen, Mund, Magen-Darm, Harnwege), Mittelohrentzündung*,Durchfall, Eiterherde, Ekzeme
  • Ausfluss aus Scheide

Besonders wichtig für die Mittelwahl

Folgen von Hirnhautentzündung*, Quecksilbervergiftungen (Amalgam-Zahnfüllungen)

Symptome:

Stottern bei Kindern. Antwortet langsam / Schwindel beim Liegen auf dem Rücken / Niesen, besonders bei Sonneneinstrahlung. Viel Durst (bei nassem Mund), bevorzugt kalte Getränke. Aphthen. Zunge dick belegt, schrammig (in der Längsrichtung) mit Zahneindrücken. Übler Mundgeruch und Speichelfluss(bes. nachts). Zahnwurzelentzündung*. Eiterung, Schwellung der Lymphdrüsen, Haut und Schleimhaut / Weissfluss, übelriechend, scharf, bei Mädchen / Stühle schleimig, häufiger Drang (mit dem Gefühl nie fertig zu sein, häufige kleine Stühle, After wird wund) / Zittern der Hände und Beine / Nässende, stark entzündete, eiternde Hautausschläge und Ekzeme

Allgemeines:

Empfindlichkeit gegen kalte Luft und Bettwärme / Alle Absonderungen sind ätzend, scharf, eitrig und übelriechend / Übelriechende, klebrige, die Wäsche gelb färbende (Nacht-) Schweisse / Verlangen nach Butterbrot.

Modalitäten:

Schlimmer nachts. Durch Bettwärme, Kälte, nasskaltes Wetter, liegen auf der rechten Seite. Auffällige Empfindlichkeit auf eine Vielzahl äusserer Einflüsse. Beim Schwitzen können die Beschwerden vermehrt auftreten.

* = Selbstbehandlung nur in Absprache mit der Ärztin, mit dem Arzt und als erste Hilfe.