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Unser Bild zeigt einen Strassenprediger, der täglich mit unglaublicher Ausdauer (von oben herab) die Menschen lauthals zu einem tugendhaften Leben aufruft. Er fühlt sich von Gott berufen, die Welt zu bekehren (Manchmal hält er sich sogar selbst für Christus oder Johannes den Täufer). Dieses Bild soll den  Hochmut, die religiösen Wahnideen, den übertriebenen Ehrgeiz und die grosse Ausdauer von ‹Veratrum-album-Menschen› in uns verankern. Das leichenartige Gesicht des Predigers erinnert uns daran, dass Veratrum album eines der wichtigsten Kollapsmittel ist. Die blaue Farbe des Bildes soll ein Hinweis auf den  enormen Mangel an Lebenswärme von ‹Veratrum-album-Menschen› sein.

  • Weisser Germer | © Adobe Stock
  • Illustration Veratrum album

Steckbrief von Veratrum album

Beschreibung: Beim Germer handelt es sich um eine 60 bis 150 cm hohe, schlanke Pflanze mit im unteren Teil kahlem Stängel, der weiter oben weich und anliegend behaart ist. Die Blätter sind schraubig angeordnet, die untersten bis 20 cm lang, die oberen lanzettlich und alle stängelumfassend. Die Blüten befinden sich zahlreich in einer traubenartigen Rispe. Die sechs Blütenblätter sind 10 bis 20 mm lang, gelb-grün bis grün mit dunkelgrünem Mittelnerv. Die Frucht ist eine 3-fächrige Kapsel mit vielen Samen.

Blütezeit: Juni bis August

Verbreitung: Die Pflanze kommt in den europäischen Gebirgen wie den Alpen, Pyrenäen, Karpaten und im Balkan vor. Auf den Britischen Inseln fehlt sie, in Skandinavien ist sie nur im Norden um den 71. Breitengrad verbreitet, des Weiteren in ganz Asien von der Nordküste bis zum Kaukasus und bis nach Zentralasien sowie Japan. In der Schweiz ist sie in den ganzen Alpen wie auch in den Voralpen und im Jura, zuweilen auch sehr gehäuft, anzutreffen.

Standort: Der Germer wächst auf feuchten, tiefgründigen Böden, die meist kalkhaltig und stickstoffreich sind. Man findet ihn in Hochstaudenfluren, das sind hochwüchsige Kräuterbestände, die schnell und üppig wachsen. Daneben ist er auch in Feucht- und Nasswiesen anzutrefffen, nicht selten in den Randbereichen von Flachmooren, wo er vom Nährstoffeintrag der Beweidung profitiert. Ganz typisch ist sein Auftreten in Lägergesellschaften um Sennereien, wo er auch nach Aufgabe der Viehwirtschaft durch den hohen Nährstoffgehalt des Bodens noch Jahrzehnte ideale Wachtumsbedingungen vorfindet.

Besonderheiten: Die starke Giftigkeit dieser Pflanze wird durch den Gehalt an Alkaloiden bestimmt. Zwar ist die ganze Pflanze giftig, doch ist der Alkaloidgehalt im Rhizom (= Wurzelstock) und in der Wurzel am höchsten. Daneben spielen Witterung, Jahreszeit und die Meereshöhe des Standortes für die Menge der Inhaltstoffe eine wichtige Rolle. Der Symptomverlauf zeigt sich mit Schwindel, Erbrechen, heftigen Durchfällen, Atemstörungen, Blutdruckabfall und Kollaps. Eine ernsthafte Gefahr besteht durch Verwechslung mit dem Gelben Enzian Gentiana lutea, dessen Wurzel zur Schnapsherstellung verwendet wird.

verwendeter Teil: frische oder getrocknete unterirdische Teile

wichtige Verwandte: Sabadilla, Veratrum viride

Wirkung und Anwendung von Veratrum album in der Homöopathie

Wer hoch steigt, riskiert tief zu stürzen. ‹Veratrum album› hat Angst, seine Stellung in der Gesellschaft zu verlieren. Der Geltungstrieb von ‹Veratrum-album-Menschen› ist sehr stark. Sie arbeiten mit enormer Ausdauer, lügen, betrügen und schmeicheln sich nach oben und möchten auf keinen Fall wieder «abstürzen». Bei Misserfolg werden sie depressiv, gleichgültig, fühlen sich verlassen oder reagieren manisch mit dem Verlangen, alles zu zerreissen, zu brüllen, obszöne Lieder zu singen, sich zu entblössen und andere zu schlagen. ‹Veratrum album› fürchtet sich aber auch vor der Strafe Gottes, der Verdammnis  und betet inbrünstig um sein Seelenheil.

Hahnemann erkannte die grossen Möglichkeiten dieser Pflanze in der Behandlung von psychisch Kranken. Er schrieb, dass fast ein Drittel der Wahnsinnigen in den Irrenhäusern von Veratrum album profitieren würden. Es ist sehr schade, dass die Homöopathie in der modernen Psychiatrie (noch) nicht häufiger zum Einsatz kommt.

Menschen, die Veratrum album benötigen, sind geistig und körperlich ruhelos, ständig mit etwas beschäftigt. Der Tatendrang ist so gross, dass auch absolut sinn- und ziellose Arbeit unermüdlich erledigt wird.

‹Veratrum-album-Kinder› sind oft frühreif (vgl. Lachesis, Medorrhinum), ernst und stellen viele philosophische Fragen. Auch ungehorsame, hyperaktive Kinder benötigen manchmal Veratrum album.

In der normalen homöopathischen Praxis kommt Veratrum album hauptsächlich bei Kollapszuständen und Brechdurchfällen zum Einsatz. Das typische Bild eines Veratrum-Kollapses zeigt sich wie folgt: plötzliche Schwäche, blasses Gesicht, kalter Schweiss (vor allem auf der Stirn), kalter Atem, eiskalte Nase, Kälte des ganzen Körpers (als ob Eiswasser in den Blutgefässen zirkuliere), Krämpfe und Muskelzuckungen.

Die Magen-Darm-Beschwerden von ‹Veratrum album› erinnern uns an ‹Arsenicum album›: Übelkeit und Erbrechen mit gleichzeitigem (wässrigem) Durchfall, dabei wiederum kalte Schweisse (und manchmal folgt sogar ein Kollaps). Grosser Durst nach dem Trinken von kaltem Wasser, welches aber sofort erbrochen wird. Veratrum album ist eines der drei wichtigsten Cholera-Mittel. Magen-Darm-Beschwerden bei heissem Wetter (nach Genuss von kalten Getränken oder Obst) lassen sich oft mit Veratrum album kurieren.

Veratrum album kann auch bei Menstruationsbeschwerden sehr nützlich sein, wenn die typischen Veratrum-Zeichen wie Kälte, Erschöpfung, Erbrechen und Durchfall auftreten. Für Veratrum album spricht zudem ein heftiges sexuelles Verlangen vor der Menstruation (vgl. Phosphorus, Calcium phosphoricum, Dulcamara).

Das Arzneimittelbild von Veratrum album

Alle Arzneimittelbilder

Wirkt bevorzugt auf:

  • Zentralnervensystem, Nerven der Blutgefässe, Magen-Darmkanal, Herz, Bronchien, Gebärmutter und Eierstöcke.

Passt besonders zu:

  • hochmütigen, arroganten, tadelsüchtigen Menschen mit mürrischer Gleichgültigkeit.

Hauptindikationen:

Manische, depressive Gemütserkrankung. Kollapszustände, Schock nach Operationen, Bluthochdruck, Brechdurchfall, Cholera, akute Infektionskrankheiten mit Kreislaufschwäche, Bronchitis, Keuchhusten.

Besonders wichtig für die Mittelwahl

Symptome:

Neigung zu Wahnvorstellungen (drohendes Unheil, Gewissensangst) / Qualvolle Angst, Kollaps mit kaltem Schweiss (Schweissperlen auf der Stirne), Kältegefühl am ganzen Körper und auf dem Scheitel, blassbläuliche Haut, Nasenspitze eisig kalt, Gesicht blassblau, die Haut ist kalt wie bei einem Toten. Angst um das eigene Seelenheil (betet). Neigung zu Trunksucht. Arbeitswut vor der Menstruation. Anfänglich grosse Erregung (betet im Notfall), dann rascher Kräfteverfall / Brennen im Leib (trotz Kälte) mit heftigem Verlangen nach kaltem Wasser und Eiswürfeln. Heftiges Erbrechen und reichlicher Durchfall, dabei Muskelkrämpfe in den Waden. Grosse Stühle werden nur mit grösster Anstrengung entleert / Schmerzhafte Menstruation mit Kältegefühl (innerlich und äusserlich).

Allgemeines:

Verlangen nach saurem Obst, Salz.

Modalitäten:

Schlimmer im Winter, Eis (Bauchschmerzen). Weinen, Handarbeit.

Besser durch Wärme, heisse Kompressen, Liegen.